von Josef Potthast, Steinheim (1948 nach Berichten seiner Mutter zusammengestellt)
Erschienen im Jahrbuch 1987 des Kreises Höxter

Am Fuße des Köterberges liegt mein Heimatdorf Bödexen. Es ist ein Dorf der kleinen Leute. Kleine Landwirte und Handwerker, besonders Maurer, die monatelang in der Fremde arbeiten, sind dort zu Haus. 110 Häuser kann der Wanderer zählen, der von Höxter über Albaxen die Dorfstraße von Bödexen heraufwandert zum Köterberg. Sie liegen fast alle an einer Straße im engen Mühlenbachtal. Manche Sitten und Gebräuche sind in diesem abgelegenen Westfalendörflein erhalten geblieben. In den Dörfern der Westfalen lebt das alte Brauchtum, das von Geisteshaltung und Art unserer Vorfahren kündet. Friedrich Wilhelm Weber sagt von ihnen: „Heut noch ist bei euch wie nirgend Väterbrauch und -art zu finden“.

Durch diese weltlichen und besonders durch die religiösen Sitten und Gebräuche suchen die Menschen ihrem Alltagsleben einen höheren Sinn zu geben. Goethe sagt: „Das Leben, so gemein es aussieht, so leicht es sich mit dem Gewöhnlichen, Alltäglichen zu befriedigen scheint, hegt und pflegt doch immer gewisse höhere Forderungen im Stillen fort und sieht sich nach Mitteln um, sie zu befriedigen.“ Solche Mittel sind auch die Bräuche. Sie ziehen bei den kleinen Dingen des Alltags des Menschen Herz nach oben. – Was nun an solchem Brauchtum in meinem Heimatdorfe Bödexen früher vorhanden war, will ich beschreiben. Dabei halte ich mich an den Jahresablauf mit seinen Fest- und Arbeitszeiten.

Schon am ersten Tage des neuen Jahres zeigen sich die überlieferten Sitten und Gebräuche. Am Neujahrstage ziehen Kinder von Haus zu Haus und singen das neue Jahr ein. Sie erhalten dann nach ihrem Gesang von freundlichen Leuten Äpfel, Nüsse und leckere Zuckerbrezel. Sie singen:

Das neue Jahr, das neue Jahr, das wollen wir empfangen.
Wir wollen zu dem Herrn gehen.
Ach, lieber Herr, gebt auch was her zu diesem neuen Jahre.
Wir woll´n den Herren lassen steh´n.
Wir wollen zu der Fraue geh´n.
Ach, liebe Frau, gebt auch was her zu diesem neuen Jahre.
Wir woll´n die Fraue lassen steh´n.
Wir wollen zu den Kindern geh´n.
Ach, liebe Kinder, gebt auch was her zu diesem neuen Jahre.
Wir woll´n die Kinder lassen steh´n.
Wir wollen zu der Magd geh´n.
Ach, liebe Magd, gib auch was her zu diesem neuen Jahre.
Wir woll´n die Magd nun lassen steh´n.
Wir wollen zu dem Knechte geh´n.
Ach, lieber Knecht, gib auch was her zu diesem neuen Jahre.
Wenn die Leute nun die Kinder lange auf die ersehnten Gaben warten lassen, bekommen sie die Verse zu hören, die immer ungeduldiger klingen. Zunächst singen die Kinder:
Woi stohet up den Stoinen,
ösch froiset de Boine,
lot ösch nich toe lange stohn,
woi müt nau´n biten woier gohn,
van hör bis no Polle.
Polle es ne gäuwe (gute) Stadt,
giwet ollen Luen watt.
Giwet joi ösch auk watt, dann häwe olle watt.
Lassen sich auch jetzt die Hausbewohner nicht mit Geschenken sehen, müssen sie sich einen boshaften Vers gefallen lassen. Er heißt:
Witten Twern, schwatten Twern,
de aule Hexe givet nich gern.

Mit oder ohne Geschenke ziehen die Kinder fort von Haus zu Haus. Haben sie Glück gehabt, können sie die Leckereien schmausen.

Am Fest der hl. drei Könige gehen die Kinder wieder durch das Dorf und singen ein Lied, um Geschenke von freigebigen Leuten zu erhalten. Sie gehen in Bödexen nicht verkleidet. Auch tragen sie keinen Stern, wie es in anderen Orten noch üblich ist. Die Kinder singen folgenden Vers:

Die heiligen drei Könige mit ihrem Stern,
Äpfel und Birnen, die essen wir gern.

Lassen die Hausbewohner sich nicht sofort zum Spenden bewegen, singen die Kinder wie am Neujahrstage:

Woi stohet up den Stoinen, … usw.

In den Fastnachtstagen werden wieder alte Bräuche lebendig. Am Rosenmontag verkleiden sich die Burschen und setzen schreckenserregende Masken auf. Darauf ziehen sie mit geschultertem Stock in jedes Haus des Dorfes und sammeln den Fastenzins ein. Dieser wird in Form von Würsten erhoben. In der Wirtschaft verzehren die Burschen ihren Gewinn in froher Runde. Jüngere Burschen und Schuljungen nehmen diese Tage wahr, um ihren Übermut zu zeigen. Sie schneiden Wacholderzweige ab. Mit diesen streichen sie den Mädchen über Gesicht, Arme und Beine. Dabei rufen sie:

Fuier, Fuier, hoide woi,        (Feuer, Feuer, heute weh,
doit de ganze Wieke woi.    tut die ganze Woche weh.)

Die Wacholderzweige führen im Sprachgebrauch der Dorfbewohner noch heute den Namen „Fuierbüsche“.

In der Fastenzeit ruhen alle Festlichkeiten. Sang und Klang verstummen. Während der Kartage schweigen selbst die Glocken. Sie sind nach Rom geflogen, wie die Sage erzählt. Darum ziehen nun die Schuljungen mit Rattern und Klappern vor Beginn der Gottesdienste durch das Dorf und rufen so die Gläubigen zur Kirche. Wenn sie dann zur Feier der Auferstehung Christi rufen, singen sie beim Klappern:

Kommt her zur Auferstehungsfeier!

Nach der Rückkehr vom Gottesdienst erleben die Kinder eine große Freude. Zuerst suchen sie das Osternest auf, das sie tagszuvor gebaut haben, um dort die bunten Ostereier auszunehmen, die nach ihrer Meinung der Osterhase hineingelegt hat. Tagsüber gehen die Kinder zu Verwandten und Bekannten, um Ostereier zu suchen, die diese an geheimen Plätzen versteckt haben. – Am Abend geht dann Jung und Alt hinauf zum Osterberg, um beim Osterfeuer die alten Auferstehungslieder zu singen. Das Material für das Osterfeuer hat die erwachsene Jugend des Dorfes zusammengebracht. Es ist ihre Ehrenpflicht nach alter Gewohnheit. Sie fahren dabei von Haus zu Haus und sammeln den Osterzins ein. Der Bauer zahlt sie, indem er einige Strohbunde spendet zum Anzünden des Osterfeuers.

Nach vierzig Tagen wird das Fest Christ Himmelfahrt gefeiert. Der fromme Hausvater fertigt an diesem Tage kleine Kreuze aus geweihten Palmzweigen an. So ruft er Gottes Segen herab auf die junge Saat, daß sie bewahrt bleibe vor Unwetter und Mißwuchs. Dieser Brauch zeigt so recht, wie unsere Väter alle Arbeiten unter Gottes Vaterauge verrichteten. Sie gingen bewußt an der Hand Gottes. Sie kannten keine Trennung von Religion und Alltagsleben. Leider entschwindet dieser Brauch immer mehr. Er ist ein Zeichen dafür, daß auch im abgelegendsten Dorf die Verweltlichung des Lebens weiter vordringt. Immer mehr wird dem Arbeitsleben die Krönung durch die Religion genommen. Immer mehr löst sich das bürgerliche Leben aus der übernatürlichen Sphäre heraus. So schwinden hin christlicher Väterbrauch und -art. Unsere Aufgabe soll daher heißen: „Was du ererbt von deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen!“

Zehn Tage nach Christi Himmelfahrt naht Pfingsten, das liebliche Fest, das von schönem Brauchtum umkränzt ist. Am Vorabend dieses Festes tun die jungen Burschen sehr geheimnisvoll. Sie haben sich unbemerkt einen grünen Buchenzweig aus dem Wald geholt. In der Nacht zum ersten Pfingsttag stellen sie ihn heimlich vor das Haus ihrer Auserwählten. Wenig beliebten Mädchen stellen die Burschen einen trockenen Zweig vor das Haus. Kratzige Mädchen bekommen sogar einen Dornenstrauch. – Für das Festmahl zu Pfingsten schlachten  die, die es können, ein Ziegenlamm. Dann singen die Jungen, und die Alten stimmen ein:

Wenn Pingsten es, wenn Pingsten es,
dann schlachtet de Vater ´nen Bock,
dann danzet de Mutter, dann danzet de Mutter,
dann flücht de raue Rock.

Nach Pfingsten beginnt für die Dorfbewohner bald die arbeitsreiche Zeit der Heuernte. Die Getreideernte schließt sich kurze Zeit später an. – Am Feste Mariä Himmelfahrt tragen die Kinder von allen Getreidearten einen Halm und von einigen Heilkräutern etwas in die Kirche. Dort wird dieser Krautbusch gesegnet. – In Bödexen gehören zum Krautbusch folgende Gewächse: Roggen, Weizen, Gerste, Hafer, Johanneskraut, Schafgarbe, Dost, Donnerkraut, Wermut, Wülfeken, Dill, Knöpfe und Knoblauch. – Die getrockneten Kräuter des Krautbusches werden bei Krankheiten der Haustiere als Tee verwandt. Oft beobachtete ich, wie Kühe diesen Tee nach dem Kalben erhielten. Die gesegneten Palmzweige werden im Laufe des Sommers manchmal auch gebraucht. Bei schweren Gewittern werden sie im Herdfeuer verbrannt. Der Segen, der diesen Pflanzen und Zweigen anhaftet seit der Segnung, soll Haus und Hof und Mensch und Tier vor Unglück und Gefahr beschützen.

Bald nach Mariä Himmelfahrt wird das letzte Fuder vom Felde eingefahren. Das ist eine große Freude für die Kinder. Einige Tage vorher schneiden sie schon einen Erntehahn aus steifer Pappe aus und bemalen ihn mit bunten Farben. Dann befestigen sie ihn auf einem Stock. Unter den Erntehahn hängen sie einen Kranz aus ausgeblasenen Eiern. – Wenn nun das letzte Fuder beladen ist, steigen alle Hausleute auf den Wagen. Vorn sitzt ein Kind und hält den Erntehahn hoch. Auf der Fahrt zur Scheune singen alle das Danklied: Großer Gott, wir loben Dich.

Am 29. September wird das Michaelsfest gefeiert. Die Felder sind leer und die Weiden kahl geworden. Dann beginnt nach altem Brauch die Hütefreiheit. Alle Leute dürfen ihr Vieh auf allen freien Wiesen und Weiden hüten. Hier kann es der Besitzer allerdings auch verbieten. Er stellt dann einen Stock mit einem Strohwisch auf das Feld.

In dieser Zeit beginnt der Landwirt, sein eingeerntetes Getreide zu dreschen. Sobald das Korn mahlfähig ist, fährt er es zur Mühle. Die alten Vorräte sind erschöpft. Alle Hausgenossen warten gespannt auf das erste Brot aus dem neuen Mehl. Wenn dann die fromme Hausfrau das erste Brot anschneidet, macht sie ehrfürchtig ein Kreuzzeichen mit dem Messer darüber und spricht:

„Düt es´t orste Braud van noien Mehle.
Woi will
orst´n Vaterunser been in Dankbarkoit,
dat uise Herrgott et ösch wier gib´n hätt.“

Darauf beten alle Tischgenossen gemeinsam ein andächtiges Vaterunser.

Die Arbeit des Landmannes ruht nie. Schon muß er wieder für das nächste Jahr sorgen. Bald nach eingeheimster Ernte beginnt er mit der Herbstbestellung. Bevor der religiöse Landwirt aber das Saatkorn einfüllt, besprengt er es mit Weihwasser. Auf dem Feld nimmt er seine Mütze ab und betet ehrfurchtsvoll ein Vaterunser, ehe er mit dem Säen beginnt. So hebt er sein irdisches Tun in die übernatürliche Sphäre zu Gott. Sein Gebet steigt auf zum allmächtigen Vater, der alles Wachsen und Gedeihen geben muß. Des Sämanns Auge ruht dabei auf dem frischgepflügten, dampfenden Acker und verfolgt die kräuselnden Dünste, die empor in die Lüfte steigen. So ist alle Arbeit des Landmannes natur- und gottverbunden. Leider schwindet dieser Brauch immer mehr. Mit der landwirtschaftlichen Maschine ist auch das übertrieben diesseitige Streben nach Gewinn in das kleinste und abgelegendste Dorf eingezogen. Dieser Materialismus hat des Menschen Blick von Gott ab zum kunstvollen Getriebe der Maschine gekehrt, ihm Ruhe und Besinnlichkeit genommen und seine Last und Gier nach irdischem Reichtum geschürt. Das eine tun und das andere nicht lassen, muß unser Grundsatz sein.

Bald wird es kalt. Es naht die Advents- und Weihnachtszeit. Die Adventsbräuche, Barbarazweig und Adventskranz, sind auch in Bödexen bekannt. Die Bescherung am Morgen des Nikolaustages wird wie überall geübt. Zu Weihnachten steht in jedem Haus der Christbaum, und in vielen Häusern wird auch eine Krippe aufgestellt. Die Kinder freuen sich über die Gaben, die das Christkind in der hl. Nacht bringt. Dieses fromme Brauchtum soll den im Gotteshaus empfangenen Eindruck in der Familie vertiefen. Es festigt und vermehrt den Glauben.

Wenn die Arbeit auf dem Dorfe nicht so drängt und einige Tage Ruhe nichts verderben können, feiern die Bewohner meines Heimatdorfes ihre Feste. Unter diesen sind besonders die Hochzeiten von manchen Sitten und Bräuchen umrahmt. Wenn das glückliche Paar die Kirche verläßt, versperren ihm die Kinder mit bekränzten Stricken den Weg. „Schatten“ nennen es die Kinder. Sie lassen es sich nicht entgehen. Sie fühlen wohl, daß das Paar an diesem Festtage ein freigebiges Herz hat. Darum muß es seinen Weg von der Kirche bis zum Hochzeitshaus freikaufen durch kleine Geldgeschenke oder Süßigkeiten. Manchmal zeigt sich auch bei einer Hochzeit die derbe Art der Leute, den Nächsten zu richten. Hat sich die Braut vorher schon an der Seite anderer Verehrer gezeigt und sich vielleicht nicht so betragen, wie es Schicklichkeit, Zucht und Sitte erlauben, so kann sie am Hochzeitsmorgen von ihrer Haustür aus kleine Pfade aus Sägemehl entdecken, die zu den Häusern ihrer früheren Verehrer führen. – Den Verehrern, die verlassen sind, stellt die Jugend des Dorfes eine Strohpuppe als Ersatz in der Nähe ihrer Haustür auf. – Ist eine Braut durch ihre Unsauberkeit und Unordentlichkeit bekannt geworden, so kann es ihr passieren, daß boshafte Jungen ihr hinten auf den Brautwagen, der ihre Aussteuer fortbringt, ein Häuflein Mist packen. Dann ist sie blamiert vor allen Leuten. Dieser Brauch ist allerdings seit langem nicht mehr angewandt worden.

In den jungen Familien wächst neues Leben heran. Manche Bräuche umgaben das kleine Kind.

Sie sind meist in Vergessenheit geraten. Eines wird noch in einigen Familien geübt. Es ist dort Sitte, daß das Patenkind sich am Osterfeste einen Stuten und Ostereier von den Paten abholt. Zu Weihnachten erhält es Gebäck. So beschenken und betreuen die Paten ihr Patenkind. Am letzten Osterfest vor Beginn der Schulzeit holt das Patenkind den letzten Stuten ab und bedankt sich für alle Wohltaten der vergangenen Jahre.

So umrahmen Sitten und Gebräuche das ganze Menschenleben. Religiöses und weltliches Brauchtum durchzieht das Jahr. Leider verschwinden diese Bräuche immer mehr. Die Zunahme der Ortsfremden mag ein Grund dafür sein. Die alten Sitten und Gebräuche waren aber auch schon vorher oft in Vergessenheit geraten.

Wir alle stehen auf den Schultern unserer Ahnen. Die christliche Geisteshaltung, die wir von unseren Vätern und Müttern ererbt haben, weiter zu pflegen, ist unsere heilige Pflicht. Die Haltung äußert sich auch in den Sitten und Gebräuchen. Es ist unserer Väter Art. Schlagen wir aus der Art, dann sinken wir weiter ab. Goethe sagt:

„Wir alle leben vom Vergangenen und gehen am Vergangenen zugrunde.“

Aber nicht nur Sitte und Brauchtum künden unserer Väter Art, sondern auch die Bauweise und Verzierung an den Häusern zeigen uns die Geisteshaltung unserer Vorfahren an. Manche alten Bauernhäuser sind in meinem Heimatdorfe Bödexen zu finden. Mit ihren hohen Dächern, ihren geschmückten Giebeln und ihren reizvollen Haustoren schauen sie auf das Leben auf der Straße. Sie künden dem schauenden Wanderer von dem Leben und Schaffen ihrer ersten und arbeitsfrohen Bewohner. Diese Bauernhäuser sind nicht nur Zweckbauten, sie zeigen Schmuckformen und Hausinschriften, die zusammen mit den natürlichen Baustoffen die Schönheit der Volkskunst offenbaren. – Die Baustoffe stammen aus der näheren Umgebung. Die Häuser meines Heimatdorfes sind in der Hauptsache Holzfachwerkbauten mit steilen Dächern, die meist rötlich glitzernde Sollingplatten tragen. Die waldreiche Umgebung – Bödexen steht an erster Stelle im Kreise Höxter mit seinem Waldreichtum – und die Sandsteinbrüche im Solling gaben die Baustoffe her. Durch die Verwendung dieser Baustoffe erhielten die Häuser ein Gewand, das der schönen Umgebung natürlich angepaßt ist. Der Aufbau ist zweckmäßig. Jedes Haus ist eine geschlossene Anlage. Scheune, Stallung und Wohnraum befinden sich meist unter einem Dach. Das starke Gerippe des Fachwerkhauses tritt sichtbar hervor. Schwarze und braune Farbe hebt es noch kräftiger heraus. Die Wände sind mit Lehm glatt verstrichen. Oft sind sie mit Kalk getüncht. Auch diese Baustoffe entstammen der nächsten Umgebung des Dorfes. – Um den Schönheitssinn zu befriedigen, haben unsere praktischen Vorfahren schmückende Zutaten für ihre Häuser ersonnen. Vor den Fenstern stehen leuchtende Blumen. An Festtagen kommt ein besonderer Feiertagsputz hinzu. Beim Erntefest hängt oft der reichverzierte Erntekranz über der Einfahrt. Bei hohen Kirchenfesten werden grüne Zweige und Tannenkränze als Schmuck an den Häusern angebracht.  

Aber seit Urväterzeit tragen die Häuser meines Heimatdorfes vielfach auch beständige Zierarten. Balkenköpfe und andere Fachwerkhölzer sind oft geschnitzt und bemalt. An manchen Häusern winden sich geschnitzte Blumenranken an den Türpfosten aufwärts. Die Querbalken der Hauseingänge tragen oft Inschriften, die unserer Väter Art verkünden.

Die meisten dieser Hausinschriften bezeugen den tief religiösen Sinn unserer Vorfahren. Einige dieser Inschriften möchte anführen. Ich gebe sie in hochdeutscher Sprache wider. Die älteste noch erhaltene Inschrift meines Heimatdorfes stammt aus dem Jahre 1519. Beim Abbruch des betreffenden Hauses wurde der Torbogen mit der Inschrift nach Höxter gebracht. Er befand sich zur Zeit dieser Niederschrift am Eingang zum Hof der ehemaligen Baugewerkschule. (Inzwischen wieder in Bödexen am Verbindungsweg zwischen Annastraße und Mühlenberg.) Die Inschrift lautet:

„Wer auf Gott vertraut, der hat wohlgebaut.
Hermann Hamelmann, Gret Roborts,
meine eheliche Hausfrau, me fieri fecit.“

Nr. 6

„Gott segne dieses Haus und die da gehen ein und aus.“

Nr. 17b

„Des Vaters Segen baut den Kindern Häuser.
Auf Gott, den Herrn, haben wir vertraut
und in Jesu Namen gebaut.
Er möchte uns seinen Engel senden
und alles Unglück von uns wenden.“

Nr. 31

„Wer auf Gott vertraut, der hat wohlgebaut
im Himmel und auf Erden.
Wer sich verläßt auf Jesum Christ,
dem kann der Himmel werden.“

Andere Hausinschriften zeigen uns besonders eindringlich den Lebensernst unserer Ahnen:

„Meine Zeit, die ich auf Erden bin, geht
wie ein Abendschatten hin.
Wie eine Blume muß ich verdorren.
Du aber, o Herr, bleibst immerdar.“

Nr. 58

„Wir bauen alle fest
und sind doch fremde Gäste.“

Bei der tiefen Religiosität, der ernsten Lebensauffassung und fleißigen Arbeitsamkeit finden wir aber auch Humor. Unsere Vorfahren hatten „den Schalk im Nacken sitzen“, wie man hier zu sagen pflegt. Selbst bei der Auswahl der Hausinschriften hat der Schalk sich eingeschlichen:

„Mit Gott zum Gunst,
sonst ist alle Arbeit umsunst.
Ein jedes Haus erfreut uns lobenswert,
wenn Gottes Hilfe uns beschert.
Viel mehr Kosten hat der Bau gemacht,
als der Herr berechnet hat.“

Nr. 29

„Allen, die hier vorbeigehen und mich kennen,
denen gebe Gott, was sie mir gönnen.“

So verkünden uns Sitten und Gebräuche, Hausanlagen und Wohnungsbau, Häuserschmuck und Hausinschriften unserer Väter Art und Geisteshaltung. Das Bild unserer Ahnen entsteht vor uns und zeigt uns unsere Vorfahren als echte Westfalen und Christen. Würdige Nachahmer ihres Vorbildes zu sein, ist unsere heilige Pflicht und Aufgabe.